Leichte Sprache im Museum: Kultur für alle verständlich machen
- Sara Stocker Steinke
- 2. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Okt.
Ein Museumsbesuch kann inspirieren – oder frustrieren. Wer schon einmal vor einer langen Texttafel mit komplizierten Fachbegriffen stand, kennt das Gefühl: Man versteht nur die Hälfte, verliert den roten Faden und wendet sich ab. Dabei sollte Kultur für alle da sein. Leichte Sprache schafft hier Zugänge, baut Barrieren ab und ermöglicht es mehr Menschen, Museen selbstständig zu erleben.

Warum braucht es Leichte Sprache im Museum?
Sprache entscheidet über Teilhabe. Studien zeigen: Rund ein Drittel der Erwachsenen in der Schweiz und in Deutschland hat Schwierigkeiten, komplexe Texte zu verstehen. Betroffen sind Menschen mit kognitiven Behinderungen, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Personen mit einer anderen Erstsprache, ältere Menschen – aber auch viele, die schlicht keine akademische Vorbildung haben.
Wer profitiert konkret?
Menschen mit kognitiven Behinderungen
Menschen mit geringer Lesekompetenz
Menschen mit einer anderen Erstsprache
Menschen mit Gehörlosigkeit, da für sie geschriebene Lautsprache oft wie eine Fremdsprache ist.
Ältere Menschen
Kinder und Jugendliche (indirekt, durch einfache Erklärungen)
Für all diese Gruppen kann Leichte Sprache der Schlüssel sein. Sie sorgt dafür, dass ein Museumsbesuch nicht nur passiv geschieht, sondern aktiv und selbstbestimmt.
Einfache Sprache oder Leichte Sprache?
Die beiden Begriffe klingen ähnlich, meinen aber Unterschiedliches:
Einfache Sprache ist weniger strikt geregelt und entspricht etwa dem Niveau A2–B1 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Sie richtet sich an Menschen, die komplexe Texte schwer verstehen, eignet sich für eine breite Öffentlichkeit und wird z. B. in Flyern oder Webseiten verwendet.
Leichte Sprache folgt klaren Regelwerken (z. B. Regeln des Netzwerks Leichte Sprache). Sie ist stärker reduziert, liegt auf Niveau A1–A2 und richtet sich primär an Menschen mit kognitiven Behinderungen oder geringer Lesekompetenz.
Beide Varianten können im Museum sinnvoll sein: Einfache Sprache für allgemeine Kommunikation, Leichte Sprache für spezifische Angebote zur barrierefreien Teilhabe für Ansprechgruppen, die diese Sprachform benötigen. Das Zentrum Paul Klee in Bern verwendet beide Textniveaus.
Die wichtigsten Regeln der Leichten Sprache
Damit Texte tatsächlich verständlich sind, gelten feste Grundsätze:
Kurze Sätze mit nur einer Aussage
Einfache Wörter, Fremdwörter vermeiden oder erklären
Aktiv statt Passiv
Abstrakte Begriffe erklären und mit Beispiel
Grosse, gut lesbare Schrift, klare Gliederung
Absätze, Überschriften, Aufzählungen
Bilder oder Symbole zur Unterstützung
Diese Regeln erhöhen die Verständlichkeit nicht nur für die eigentliche Zielgruppe, sondern machen Informationen für alle leichter zugänglich.
Wo kommt Leichte Sprache im Museum zum Einsatz?
Texte in Leichter Sprache können im Museum unterschiedliche Funktionen einnehmen. Sie können Informationen zum Museum, zur Sammlung, zu Ausstellungen, Vermittlungsangeboten oder Veranstaltungen vermitteln.
In der Kommunikation nach aussen:
Webseiten: Unterseiten in Leichter Sprache zu Öffnungszeiten, Tickets und Anreise helfen Barrieren abzubauen. Hinweise in Leichter Sprache zu Ausstellungen und Veranstaltungen machen neugierig und signalisieren: Ich bin willkommen! Gute Beispiele: Augusta Raurica, Historisches Museum Basel, openartmuseum St.Gallen
Flyer und Programme: Einige Festivals – etwa das Wildwuchs Festival Basel – gestalten ihr Programmheft in einfacher Sprache oder geben erklärende Hinweise zu einzelnen Programmpunkten - zum Beispiel Theaterfestival auawirleben, Bern. Solch niederschwellige Informationen sind auch für Jahres- oder Monatsprogramme von Museen geeignet.
Social Media: Posts in Leichter Sprache erreichen neue Zielgruppen und fördern Austausch.
Die inhaltliche Vermittlung kann je nach Museumssparte variieren. So steht im Kunstkontext oft die Auseinandersetzung mit dem Werk im Zentrum: Texte in Leichter Sprache unterstützen die Wahrnehmung, schärfen den Blick und regen zum Nachdenken an. Texte in Leichter Sprache können auf geeignete Inhalte fokussieren, Kontexte erklären, Anleitungen bei Multimedia- oder Hands-on-Stationen geben oder sie helfen den Besucher*innen bei der Orientierung.
Einsatz in der der Ausstellung selbst:
Einleitungs- Übersichts- oder Wandtexte: Sie geben Orientierung und reduzieren Komplexität.
Objekttexte: Aus komplizierten Fachtexten werden verständliche Erläuterungen. Kurze Beschreibungen unterstützen die Wahrnehmung & helfen beim Entdecken. Offene Fragen regen zum Nachdenken an. Beschreibungen in Leichter Sprache eignen sich auch für Online-Datenbanken zur Sammlungspräsentation (Beispiel für Online-Sammlung: Kunstmuseum Thun).
Audioguides oder Hörstationen: Auch gesprochene Sprache in Leichter Sprache baut Barrieren ab. In Apps mit mehreren Sprachvarianten lassen sich Zugänge in Leichter Sprache einfach einbauen. (Beispiel für Audioguide: Bündner Kunstmuseum)
Begleitbroschüren oder Saalblätter: Sie unterstützen bei der eigenständigen Erkundung. In der Gruppe fördern sie die gemeinsame Kommunikation über das Gesehene, Erlebte (Beispiel für Begleittext: Museum Tinguely Basel).
Personale Vermittlung: Führungen oder Workshops in einfacher oder Leichter Sprache ermöglichen einen Dialog auf Augenhöhe. Menschen mit kognitiven Behinderungen werden so eingeladen, sich spontan zu äussern und ihre Gedanken einzubringen.
Wie entstehen Texte in Leichter Sprache?
Museen haben verschiedene Möglichkeiten, Texte in Leichter Sprache zu erstellen:
Professionelle Übersetzungsbüros: Die Zusammenarbeit mit einem Textbüro erfordert klare Absprachen zu den Zielsetzungen und der Verwendung. Eine 1:1-Übersetzung funktioniert meist nicht, da Texte in Leichter Sprache eine eigene Vermittlungspraxis in Bezug auf die Zielgruppe erfordern.
Selber schreiben nach Schulungen: Verfügt das Museum über Mitarbeitende, die im Schreiben von Leichter Sprache geschult und im engen Austausch mit den Ansprechgruppen stehen, ist dies eine nachhaltige und effiziente Möglichkeit Texte inhouse zu erstellen. Weiterbildung z. B. im Fachseminar Leichte Sprache an der FHNW.
KI-gestützte Entwürfe: Künstliche Intelligenz kann erste Vorschläge liefern. Inzwischen gibt es spezialisierte KI-Tools für Leichte Sprache. Ihre Ergebnisse liefern erste Entwürfe, die jedoch unbedingt weiterbearbeitet und geprüft werden müssen. Der kürzlich erschienene "Kodex für den Einsatz von KI in der Leichten Sprache" gibt dazu wichtige Hinweise.
Prüfgruppen: Qualität durch Partizipation
Ein Kernprinzip der Leichten Sprache ist die Überprüfung der Texte durch Prüfgruppen. Diese bestehen in der Regel aus Menschen, für die Leichte Sprache entwickelt wurde. Sie lesen oder hören die Texte vorab und geben Feedback: Welche Wörter sind noch zu schwer? Welche Sätze zu lang? Wo ist etwas unverständlich oder doppeldeutig? In Ausstellungssettings ist es wichtig, dass die Prüfung vor Ort in den Ausstellungsräumen geschieht. So kann auch getestet werden, ob die Verbindung zwischen Exponaten und Texten funktioniert: Welcher Text gehört zu welchem Exponat? Wie kann die Orientierung gewährleistet werden? Wo liegen die Texte auf? Wie funktioniert das mit dem Audioguide?
Die Rückmeldungen werden anschliessend in die Überarbeitung eingearbeitet. Dadurch entstehen Texte, die nicht nur regelkonform, sondern auch tatsächlich verständlich sind. Prüfgruppen haben somit eine Doppelfunktion: Sie sichern die Qualität der Texte und ermöglichen gleichzeitig Teilhabe – Menschen aus der Zielgruppe wirken direkt an der Gestaltung von Kulturangeboten mit und werden so empowert und in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt.
Leichte Sprache und Kinder
Ein häufiges Missverständnis: Leichte Sprache ist keine Kindersprache wie Vertreter*innen der Bewegung bewusst betonen. Denn Leichte Sprache richtet sich primär an Erwachsene mit geringer Lesekompetenz oder kognitiven Behinderungen. Je nach Kontext und Inhalten gehen die Bedürfnisse stark auseinander. Trotzdem können Kinder profitieren. Denn Leichte Sprache erklärt Sachverhalte einfach, anschaulich und ohne unnötige Fremdwörter. Das erleichtert gemeinsames Lernen in Familien. So berichtete eine Mutter nach einem Ausstellungsbesuch: Sie und ihr zwölfjähriger Sohn hätten zum ersten Mal gleichzeitig den Text fertig gelesen – und anschliessend besser über die Kunst diskutieren können (Smidt, 2024, S. 223). Leichte Sprache ersetzt keine kindgerechte Vermittlung, kann aber eine hilfreiche Brücke sein, wenn Kinder und Erwachsene gemeinsam ins Museum gehen.
Checkliste: Leichte Sprache in Ausstellungen nutzen
Mit folgenden Überlegungen kann Leichte Sprache in Ausstellungen schrittweise eingeführt werden. Dabei sollten von Beginn weg, die späteren Nutzer*innen einbezogen werden.
Bedarf klären: Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden?
Medium definieren: Welches Medium eignet sich? Wand- Saal- Objekttext, Broschüre, Audioguide, Video, Hörstationen? Wie wird der Text vermittelt: Wand, Blatt, QR-Code, Multimedia-Guide, Bildschirm, Kopfhörer?
Objekte / Texte auswählen: Welches sind Schlüsselwerke zum Verständnis? Welche Erzähllinie eignet sich? Reichen Orientierungstexte?
Übersetzen lassen oder Texte selber verfassen: Reine Informationstext können durch ein Textbüro ohne Museumsexpertise erfolgen. Werden inhaltliche Schwerpunkte gesetzt (z.B. bei Ausstellungen), braucht es enge Absprachen zwischen den Auftraggebenden und den Verfasser*innen. Mit einer geeigneten Weiterbildung und den nötigen Vermittlungskompetenzen können kuratierte Texte inhouse entwickelt werden. Die setzt jedoch auch gute Kenntnisse der Ansprechgruppen voraus.
Prüfgruppe einbeziehen: Feedback aus den Ansprechgruppen ist unverzichtbar. Bei häufiger Verwendung von Leichter Sprache lohnt sich die Zusammenarbeit mit einer Prüfgruppe in der Region (via eine Institution, die selber Leichte Sprache nutzt) oder man baut selber eine auf (via Selbstvertreter-Organisationen, Insieme etc.).
Visuelle Gestaltung bei Texten: klare Struktur, gute Lesbarkeit gemäss Vorgaben des Regelwerks Leichte Sprache, unterstützende Bilder.
Gestaltung der Hörbeiträge: Sprechtempo, Stimmen, Umfang, Pausen definieren.
Testlauf in der Ausstellung: Funktionieren Texte im Zusammenspiel mit den Exponaten? Findet man die Textes intuitiv? Wo liegen Broschüren auf? Müssen sie an der Kasse abgeholt werden? Ist das Empfangspersonal sensibilisiert?
Kommunikation anpassen: Auf Webseite, Flyer und Social Media auf Texte in Leichter Sprache hinweisen und sie - gut auffindbar - zum Download anbieten.
Evaluation: Rückmeldungen sammeln und Angebot weiterentwickeln.
Fazit: Leichte Sprache ist mehr als ein praktisches Hilfsmittel.
Sie ist ein Werkzeug für Inklusion, Vielfalt und Selbstbestimmung. Sie macht Museen zu offenen Orten, die klar signalisieren: Kultur gehört allen – unabhängig von Sprache, Bildung oder Fähigkeiten.
Oder, wie es eine Besucherin nach einer Ausstellung in Leichter Sprache sagte:
„Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die Ausstellung war auch für mich gemacht.“
INKLUSEUM verfügt über ein Textbüro für Leichte Sprache und eine Prüfgruppe. Wir unterstützen Sie gerne bei Ihren Projekten in Leichter Sprache - Nehmen Sie mit uns unverbindlich Kontakt auf!
Literatur
Gross, Sonja (2023): Leichte Sprache. Grundlagen und Anleitung für eine barrierefreie Kommunikation. Hogrefe.
Pitton, Paola & Stocker Steinke, Sara (2024): Leichte Sprache in der Kultur. In: Antener/Parpan-Blaser/Girard-Groeber/Lichtenauer (Hrsg.) Leichte Sprache
Grundlagen, Diskussionen und Praxisfelder. Kohlhammer. S. 208-215. https://doi.org/10.17433/978-3-17-041896-7
Smidt, Sara (2024): Leichte Sprache im Museum. In: Antener/Parpan-Blaser/Girard-Groeber/Lichtenauer (Hrsg.) Leichte Sprache. Grundlagen, Diskussionen und Praxisfelder. Kohlhammer. S. 221-228.
Kodex für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Leichten Sprache (2025). Download als PDF
Generelle Infos: Kompetenzzentrum Leichte Sprache des Bundes
Weiterbildung: Fachseminar Leichte Sprache FHNW