Museen als Dritte Orte – Räume für Begegnung, Teilhabe und Zugehörigkeit
- Sara Stocker Steinke
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
Museen sind mehr als Orte des Sammelns, Forschens und Vermittelns. Sie sind auch soziale Räume, in denen Menschen zusammenkommen, sich begegnen, sich verorten – oder auch ausgeschlossen fühlen. Diese soziale Dimension wird zunehmend als Schlüssel verstanden, um Museen inklusiver, gerechter und relevanter für eine vielfältige Gesellschaft zu gestalten.

Zwischen Raumstruktur und sozialem Gefüge
Ein sozialer Raum ist nicht nur ein physischer Ort. Er entsteht durch Beziehungen, durch Interaktionen und durch die gesellschaftlichen Strukturen, die in ihn eingeschrieben sind. Die Raumsoziologin Martina Löw beschreibt dies als wechselseitigen Prozess: Soziale Ungleichheit prägt Räume – und Räume reproduzieren soziale Ungleichheit (Löw, 2001). Auch Pierre Bourdieu hat in seinem Konzept des sozialen Raums aufgezeigt, wie Menschen je nach ihrem Kapital (ökonomisch, kulturell, sozial) unterschiedliche Positionen einnehmen – mit entsprechenden Zugängen oder Ausschlüssen (Bourdieu, 1987).
Übertragen auf Museen bedeutet das: Sie sind keine neutralen Orte. Sie spiegeln gesellschaftliche Machtverhältnisse wider – etwa durch ihre Architektur, ihre Sammlungen, ihre Programme oder das, was (und wer) nicht vorkommt. Wer entscheidet, was gezeigt wird? Wessen Perspektiven sind vertreten? Wer fühlt sich willkommen – und wer nicht?
Räume emotional und sozial zugänglich machen
Wenn Museen sich als soziale Orte begreifen, verändert sich ihr Selbstverständnis. Dann geht es nicht mehr nur um Bildungsziele, sondern auch um Emotionen, Beziehungen und Zugehörigkeit. Die Philosophin Martha C. Nussbaum hebt hervor, dass soziale Bindungen und das Gefühl, gesehen zu werden, essenzielle Bestandteile eines gelingenden Lebens sind. Auch im Museum kommt es darauf an, ob Menschen sich angesprochen, willkommen und einbezogen fühlen.
Diese emotionale Ebene ist nicht trivial: Sie beeinflusst, ob ein Besuch als bereichernd oder entfremdend erlebt wird. Dabei ist nicht nur das Ausstellungsthema entscheidend, sondern auch das Verhalten des Personals, die Gestaltung der Räume, die Sprache der Texte oder die Einladung zur Interaktion. Zugänglichkeit bedeutet hier nicht nur barrierefrei, sondern auch sozial offen zu sein.
Museen als «Dritte Orte» der Gesellschaft
Ein inspirierender Ansatz ist das Konzept der «Third Places», das der Soziologe Ray Oldenburg in den 1980er-Jahren geprägt hat. Solche Orte – zwischen Zuhause (erster Ort) und Arbeitsplatz (zweiter Ort) – sind informelle Treffpunkte, die den sozialen Zusammenhalt stärken. Sie sind offen, niederschwellig, vertraut und fördern die Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft (Oldenburg, 1999). Oldenburg beschreibt acht Merkmale solcher Orte, darunter: gute Erreichbarkeit, lockere Atmosphäre, erweiterte Öffnungszeiten, soziale Durchmischung, Stammbesucher*innen, das Angebot von Gesprächen auf Augenhöhe – und das Gefühl, psychologisch «zuhause» zu sein.
Museen können solche Dritten Orte sein – wenn sie es bewusst wollen. Der kalifornische Museumsverband hat bereits 2013 einen Praxisleitfaden veröffentlicht, wie Museen sich zu «Third Places» entwickeln können: durch partizipative Formate, flexible Nutzung, virtuelle Erweiterungen und die Bereitschaft, auf gemeinsame Erfahrungen statt auf reine Wissensvermittlung zu setzen (California Association of Museums, 2013).
Kontaktzonen und Aushandlungsräume
Ein weiteres wichtiges Konzept liefert der Anthropologe James Clifford mit den «Contact Zones». Gemeint sind Räume, in denen unterschiedliche kulturelle Perspektiven aufeinandertreffen – nicht hierarchisch, sondern dialogisch. Museen sollen laut Clifford keine monologischen Vermittlungsanstalten sein, sondern Orte, an denen kulturelle Differenz sichtbar, verständlich und aushandelbar wird (Clifford, 1997). Dafür braucht es echte Kooperation – mit Communities, mit Minderheiten, mit Menschen, deren Geschichten bisher zu wenig vorkamen.
Museen als Safe Spaces
Diese Kontaktzonen können auch emotionale Schutzräume sein: Safe Spaces, in denen sensible Themen verhandelt werden dürfen. Gerade Museen, die über klare Rahmenbedingungen verfügen, haben hier ein Potenzial: Ausstellungen und Objekte können als Ankerpunkte dienen, die Gespräche erleichtern und Perspektivwechsel ermöglichen. Die Fokussierung auf konkrete Dinge fördert eine gemeinsame Verständigung (Hoins, 2021).
Was können Museen konkret tun?
Museen, die zu sozialen Begegnungsorten werden wollen, können gezielt an folgenden Hebeln ansetzen:
1. Haltung klären: Ein Museum sollte sich explizit als sozialer Raum verstehen – und dies auch kommunizieren: in Leitbildern, auf der Website, im Eingangsbereich. Das Signal: «Hier bist du willkommen – so, wie du bist.». Um die Haltung der Organisation zu verändern, braucht es einen internen Prozess mit der Beteiligung des ganzen Teams. |
2. Räume öffnen: Flexible Raumgestaltung, Lounge-Ecken, kostenfreier Zugang zu bestimmten Bereichen, WLAN, Wasser oder Sitzmöglichkeiten können viel bewirken – auch unabhängig von Ausstellungen. |
3. Personal schulen: Gastgeber*innen statt Aufsichtspersonal: Schulungen im Bereich Diversität, Kommunikation und Sensibilität fördern eine inklusive Atmosphäre. Nur wenn die Personen mit Publikumskontakt die Unterstützungsmöglichkeiten im Haus kennen, können sie sie auch weitervermitteln. |
4. Partizipation ermöglichen: Mitgestaltung ist der Schlüssel: Offene Gesprächsformate, partizipative Ausstellungen, kollaborative Projekte oder auch digitale Beteiligung schaffen Identifikation und binden Menschen langfristig ein. |
5. Beziehungen pflegen: Regelmässige Kooperationen mit lokalen Gruppen, Schulen, Vereinen oder Communities helfen, soziale Netzwerke zu stärken. Wichtig dabei: keine Alibi-Projekte, sondern echte nachhaltige Partnerschaften. |
6. Emotionen zulassen: Zugehörigkeit entsteht nicht nur durch Inhalte, sondern durch Atmosphäre. Wenn sich Menschen sicher, gesehen und respektiert fühlen, kann der emotionale Funke überspringen. |
7. Feedback ernst nehmen: Was sagen die, die (nicht) kommen? Besucher*innen-Befragungen, qualitative Interviews oder Community-Beiräte können helfen, blinde Flecken zu erkennen. Dazu ist es nötig, das Museum zu verlassen und Orte der Communities aufzusuchen. |
Fazit: Museen haben das Potenzial, zu lebendigen sozialen Orten zu werden – wenn sie sich nicht nur als Wissensvermittler, sondern als Gastgeber*innen verstehen. Orte, die Austausch ermöglichen, Gemeinschaft stärken und Vielfalt feiern. Orte, an denen sich Menschen begegnen, auch wenn sie sich sonst nie treffen würden. Oder, wie Ray Oldenburg es auf den Punkt bringt: «Unrelated people relate.»
Literatur
Bourdieu, Pierre (1987). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp.
Löw, Martina (2001). Raumsoziologie. Suhrkamp.– Oldenburg, Ray (1999). The Great Good Place. Marlowe.
Clifford, James (1997). Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century. Harvard University Press.
California Association of Museums (2013). Third Places – A Resource Guide.
Hoins, Katharina (2021). Das Museum als Dritter Ort. Schlagwort oder Leitbegriff?: Von Ray Oldenburg bis Homi K. Bhabha. In: Museum der Zukunft (S. 275–284). transcript Verlag.