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Unsichtbare Behinderungen – wie Museen achtsam damit umgehen können.

  • Sara Stocker Steinke
  • 21. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 2. Okt.

Was man nicht sieht, existiert oft nicht – zumindest in den Augen vieler Menschen. Genau das ist das Problem bei unsichtbaren Behinderungen. Sie sind real, beeinträchtigen den Alltag vieler Menschen – und bleiben dennoch häufig unbeachtet oder missverstanden. Umso wichtiger sind niederschwellige, einfache Angebote, die Betroffene unterstützen und das Umfeld sensibilisieren. Ein solches Angebot ist das sogenannte Sunflower-Lanyard – ein grünes Schlüsselband mit Sonnenblumen-Muster, das auch Museen nutzen können ist. Dazu weiter unten mehr.

 

Illustration "Some disabilites look like this - some look like this".  Hellblau-lila Hintergrund mit schwarzem Schriftzug und 7 Strich-Figuren mit verschiedenen Hilfsmitteln. Darunter der zweite Schriftzug und einer Figur ohne Hilfsmittel.
Illustration "Some disabilites look like this - some look like this". Autor unbekannt.

Was sind unsichtbare Behinderungen?

Viele Behinderungen sind auf den ersten Blick nicht erkennbar. Menschen mit chronischen Schmerzen, psychischen Erkrankungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Epilepsie, ADHS oder sensorischen Einschränkungen wie Schwerhörigkeit oder Reizüberempfindlichkeit sind im Alltag oft auf Rücksichtnahme angewiesen – auch wenn man ihnen dies nicht ansieht. Gemäss Inclusion Handicap, der Dachorganisation der Behindertenorganisationen in der Schweiz, leben hierzulande ca. 1.9 Millionen Menschen mit einer Form von Behinderung – und ein erheblicher Teil davon ist nicht sichtbar.


Diese Unsichtbarkeit bringt Herausforderungen mit sich: Fehlendes Verständnis, unangemessene Reaktionen oder schlicht Ignoranz erschweren die gesellschaftliche Teilhabe. Gerade in öffentlichen oder stark frequentierten Räumen wie Bahnhöfen, Flughäfen – oder eben auch Museen – braucht es darum geeignete Massnahmen, um Inklusion zu fördern.


Assistenzhunde für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen

Assistenzhunde leisten nicht nur für Menschen mit Sehbehinderungen oder Blindheit unverzichtbare Hilfe, sondern unterstützen auch Personen mit unsichtbaren Behinderungen. Die speziell ausgebildeten Hunde können zum Beispiel Epilepsie-Anfälle frühzeitig erkennen, Überforderungen abwenden oder in akuten Stresssituationen stabilisierend wirken.

Ein Junge und ein Assistenzhund mit Leuchtweste sind von hinten zu sehen. Sie sitzen auf Steinplatten.
Assistenzhunde können beispielsweise vor epileptischen Anfällen warnen. Bild: Luzerner Zeitung - bearbeitet.

Im Museumskontext ist es daher essenziell, Assistenzhunde unabhängig von der sichtbaren Art der Behinderung als notwendige Begleitung anzuerkennen und ihnen den Zutritt ohne zusätzliche Prüfung oder Diskussion zu gewähren. Das bedeutet auch, dass Mitarbeitende entsprechend geschult sind und wissen: Nicht alle Behinderungen sind sichtbar – der Hund erfüllt dennoch eine zentrale Funktion für die selbstbestimmte Teilhabe seines Menschen.


Assistenzhunde tragen in der Regel eine Kenndecke, ein Geschirr oder eine Plakette, die sie als solche ausweist. Je nach Land oder Ausbildungsstelle können diese Kennzeichnungen unterschiedlich aussehen. In der Schweiz etwa gibt es ein offizielles ID-Kärtchen für Assistenzhunde, das von anerkannten Ausbildungsinstitutionen ausgestellt wird. Allerdings ist zu beachten: Nicht alle Assistenzhunde sind gleich sichtbar gekennzeichnet, und es besteht keine Pflicht, ständig eine bestimmte Form der Ausweisung mitzuführen. Manche Personen entscheiden sich aus Datenschutz- oder Stigmatisierungsgründen bewusst gegen auffällige Kennzeichnungen. Tiere, die für ihre Halter*innen eine emotionale Stabilisierung ermöglichen (Emotional Support Animal) werden gesetzlich zwar anders behandelt, im Zweifelsfall sollte jedoch immer zugunsten der betroffenen Person entschieden werden – eine Nachweispflicht beim Eintritt ins Museum widerspricht dem Prinzip der Barrierefreiheit und kann eine Form struktureller Diskriminierung darstellen.


Museen, die sich inklusiv aufstellen wollen, empfehlen ihren Mitarbeitenden einen sensibilisierten, vertrauensbasierten Umgang mit dem Thema und kommunizieren klar, dass Assistenzhunde – unabhängig von der Art der Behinderung oder der Kennzeichnung – willkommen sind.

 

Foto des gelb-grünen Sonnenblumen-Bändels vor verschwommenen Hintergrund.
Der Sonnenblumen-Bändel ist ein einfaches Mittel, um mehr Unterstützungsbedarf anzuzeigen. Bild: SBB

Sunflower-Lanyard: Ein einfaches Signal

Mehr Verständnis für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen durch Sichtbarkeit und Achtsamkeit, das will die Initiative «Sunflower Lanyard». Das «Sonnenblumen-Schlüsselband» wurde 2016 am Flughafen Gatwick (UK) eingeführt und hat sich seither international verbreitet – auch in der Schweiz, wo die SBB im Juni 2025 begonnen hat, die Sensibilisierungs-Bänder schrittweise im öffentlichen Verkehr einzuführen. Menschen mit unsichtbaren Behinderungen können dieses Band freiwillig tragen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Wichtig ist: niemand muss eine Diagnose offenlegen.


Das Prinzip: Wer ein grünes Schlüsselband mit Sonnenblumen trägt, signalisiert: "Ich habe eine unsichtbare Behinderung und wünsche mir Verständnis, Geduld oder Unterstützung." Es verpflichtet zu nichts – und wirkt dennoch. Für viele Betroffene ist es ein wichtiges Mittel zur Selbstbestimmung und Teilhabe.


Relevanz für Museen und kulturelle Institutionen: Auch Museen sind Orte, die oft reizintensiv, unübersichtlich oder herausfordernd sein können. Gerade bei Veranstaltungen mit vielen Menschen – etwa an der Museumsnacht – kann ein Sunflower-Lanyard den entscheidenden Unterschied machen: Es schafft einen Rahmen für respektvolle Begegnung auf Augenhöhe, ohne die Betroffenen zu exponieren.


Wie können Museen Sunflower-Lanyard einführen?

Die Einführung ist niederschwellig und kann mit wenig Aufwand, aber grossem Effekt umgesetzt werden. Ein paar zentrale Massnahmen, die unter anderem von Autismus Schweiz empfohlen werden:

  • Verhalten: Fragen Sie die Person, ob und wie sie unterstützt werden möchte – das kann ganz unterschiedlich sein. Beispiele für hilfreiches Verhalten:


    - Zeit geben statt drängen

    - klare, einfache Kommunikation

    - Reize reduzieren

    - Rückzugsmöglichkeiten zeigen

    - Berührungen vermeiden (falls doch nötig: vorankündigen)

    - eine gleichbleibende Ansprechperson anbieten


  • Begleitpersonen: Wie Menschen mit sichtbaren Behinderungen, die auf Assistenz angewiesen sind, sollten auch Begleitpersonen von Träger*innen des Sunflower-Lanyard kostenlosen Eintritt erhalten. Dies sollte bei den Ticketpreisen festgehalten und auf der Website kommuniziert werden.

  • Sensibilisierung aller Mitarbeitenden: Von der Kasse bis zur Reinigungskraft sollten alle wissen, was das spezielle Schlüsselband bedeutet und wie man respektvoll darauf reagiert.

  • Kurze Schulungen können für das Personal z. B. per QR-Code angeboten werden, ergänzt durch Infoblätter oder Poster im internen Bereich. Fachverbände wie Autismus Schweiz stellen sich dazu gerne zur Verfügung.

  • Verankerung im Onboarding neuer Mitarbeitender. Bei dieser Gelegenheit können Vorgesetzte auch die offene Haltung des Museums gegenüber allen Besuchenden betonen und auf entsprechende Leitbilder, Codes of Conduct und Sensibilisierungsangebote verweisen.

  • Freiwillige Kennzeichnung für unterstützende Mitarbeitende, z. B. durch Pins mit einer Sonnenblume oder der Aufschrift „I support sunflower“.


Ziel ist nicht nur die Unterstützung der Träger*innen, sondern auch eine kontinuierliche Kultur der Achtsamkeit und Inklusion im ganzen Haus zu pflegen.

Museen können hier eine Mitgliedschaft beantragen und erhalten so Zugang zu weiterem Informations- und Schulungsmaterial etc.


Sunflower-Lanyard ist ein einfaches, aber wirkungsvolles Instrument für mehr Sichtbarkeit, Respekt und Teilhabe. Es erinnert uns daran, dass Inklusion dort beginnt, wo wir bereit sind, genau hinzusehen – auch dann, wenn man nichts sieht.


Interesse an einer Einführung des Sunflower-Lanyard-Systems in Ihrer Institution?INKLUSEUM unterstützt Sie gemeinsam mit betroffenen Expert*innen mit Schulungen, Beratung und Material. Kontaktieren Sie uns: mail@inkluseum.ch

 



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